Sonntag, 8. Februar 2015

Kopieren im großen Stil

Bau-Plagiate in China. Etwas ältere Personen werden sich an die Zeit des Wirtschaftswunders im Deutschland der siebziger Jahre erinnern und an die damalige japanische Kopierwut. Die häufigen heutigen Plagiatsvorwürfe in Richtung China und andere asiatische Länder richteten sich früher vornehmlich gegen das jetzige Hightech-Land Japan. Allerdings beziehen sich die Fälschungs- und Nachahmungsvorwürfe zum größten Teil auf elektrische und elektronische Artikel. Bezogen auf Bauwerke bewahrte sich Japan größtenteils seine Traditionen oder nutzte wie westliche Staaten die Möglichkeiten moderner Bau-Technologie. China als sowohl flächenmäßig eines der größten Länder der Welt mit der weltweit höchsten Bevölkerungszahl sieht das als Schwellenland etwas anders. Wer genug Geld und Einfluss besitzt, baut sich einfach nach, was ihm oder Ihr gefällt. Doch das ist es nicht allein. Im Laufe der neueren Geschichte war China gerade im Küstenbereich durch verschiedene Westmächte wie England oder Deutschland kolonialisiert. In dieser Zeit der Kolonisation entstanden westliche Bauten, deren architektonischer Einfluss trotz Kommunismus und verpönung westlicher Werte nicht unbemerkt blieb. Vorbilder aus kolonialen Zeiten. Die wohl bemerkenswerteste Architektur westlichen Stils hinterließ das britische Empire in der chinesischen Hafenstadt Schanghai. Der Bund, so wird das Viertel im Hafengebiet der Millionenmetropole bezeichnet, geht auf eine englische Niederlassung zurück, die etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet wurde und mit dem damals florierenden Kolonialhandel stetig wuchs. So bildete sich bald eine beachtliche Skyline viktorianischer Architektur, die bis heute nicht nur genutzt wird, sondern zur Expo 2010 neu gestaltet und sogar verlängert wurde. Im modernen Schanghai bildet der Bund eine beliebte Touristenattraktion und war Sitz vieler ausländischer Repräsentanten. Die frisch renovierten Gebäude beherbergen heute überwiegend Banken und andere Finanzunternehmen, sodass der Bund inzwischen zu den wichtigsten asiatischen Finanzplätzen zählt. Auch Deutschland war zum Ende des 19. Jahrhunderts in China vertreten. Nicht jedoch in Form eines Kolonialherren, sondern als Pächter des Gebiets Kiatschou mit der Hafenstadt Tsingtau. Die heute Qingdao geschriebene Stadt besitzt einen Stadtkern mit typisch deutschen Bauten inklusive einer mächtigen Kirche mit Zwillingstürmen. Wer durch diese Straßen spaziert und die chinesische Reklame einmal ausblendet, könnte vom Gefühl her genauso durch eine Altstadt in Deutschland spazieren. Echte Plagiate. Diese Wortzusammensetzung an sich ist ja eigentlich nicht möglich, da es keine echten Plagiate geben kann. Aber es soll den Unterschied zwischen nachgeahmter Architektur und tatsächlich eins zu eins übernommenen Gebäuden verdeutlichen. Das ist übrigens nicht so selten, wie das manche Zeitgenossen annehmen. In Nordamerika etwa finden sich einige Nachbauten historischer europäischer Gebäude, die in den jeweiligen Herkunftsländern entstanden sind, als in Amerika noch Millionen Bison über die Prärie zogen. Selbst der Petersdom zu Rom steht in einer noch größeren Kopie in der afrikanischen Elfenbeinküste. Aber zurück nach China und zu dessen Bau-Plagiaten. So wie das wunderschön im österreichischen Salzkammergut gelegene Hallstatt, das von chinesischen Architekten in der Provinz Guangdong nachgebaut und im Mai des Jahres 2012 eröffnet wurde. Die idyllische Lage des Originals konnten die Chinesen nicht kopieren und Palmen werden sich im Salzkammergut ebenso eher weniger finden, aber immerhin betrug die Bauzeit gerade einmal ein Jahr und der Zweck des Nachbaus einer ganzen See-Gemeinde war und ist ein rein spekulativer. Die Hoffnung auf wohlhabende Chinesen, die gerne romantisch europäisch leben. Entsprechend liegt der Quadratmeterpreis bei über 1000 Euro, das ist weit über dem chinesischen Durchschnitt. Zum Unesco-Weltkulturerbe wie das Originale Hallstatt wird es die Kopie in China wohl eher nicht bringen. Weitaus berühmter ist ein anderes Plagiat, das in China errichtet wurde. In der chinesischen Metropole Suzhou findet sich seit einiger Zeit ein englisches Baudenkmal höchsten Ranges. Die im Original in London stehende Tower Bridge wurde hier einfach nachgebaut und gleich noch ein bisschen erweitert. So erhielt das Plagiat gleich vier der berühmten Türme, statt nur zwei wie im Original. Dafür fehlt der Hebemechanismus der Londoner Tower Bridge. Damit beließen es die chinesischen Stadtoberen aber nicht. Wer gerade in Suzhou weilt, kann gleich noch einen Abstecher zur Harbour Bridge, im Original in Sydney, und zur Pont Alexandre III machen, die im Original die Pariser Seine überspannt. Das berühmteste Denkmal der Welt, der Pariser Eiffelturm hat es den Chinesen gleich mehrfach angetan. Er steht mit kleinen Abweichungen in mehreren Provinzen des Riesenlandes. So exotisch wie uns der Riese China mit seinen Sitten und Bräuchen vorkommt, so exotisch und faszinierend wirkt Europa auf die Chinesen und seitdem Geld verdienen im Reich der Mitte nicht mehr den Geruch des verwerflichen besitzt, kommen eben auch Dinge vor, die sich neureiche Menschen mal gerne einfallen lassen. So wie ein chinesischer Großbäcker in der Stadt Chongqing, der das Schloss Neuschwanstein als Hotel errichten lässt. Aber dessen nicht genug stehen in der 6-Millionen-Metropole gleich sechs Schlösser und Burgen, die europäischen Herrschaftssitzen oder auch nur bestimmten Architekturstilen nachempfunden sind. So beispielsweise Windsor Castle oder teilweise Elemente des spanischen Architekten Antoni Gaudi und dessen Sagrada Familia. Allzu genau nimmt es der chinesische Kopist mit den Einzelheiten allerdings nicht. Die Vorlagen für die Bauwerke entstammen nicht etwa intensiven Reisen nach Europa, sondern einem Buch über berühmte Bauwerke, das im Büro des Bäckers liegt.

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