Sonntag, 30. August 2009

Eine alte Geschichte

Das folgende ist ein Erlebniss, das ich vor vielen Jahren in Amerika erlebte. Mir ist es das Erzählen wert. Bilder gibt es dazu keine. Das ist die Geschichte:

Es ist heiß in Phoenix, Arizona, und ich hatte einen ziemlich beschissenen Tag hinter mir. Die Zeitarbeitsfirma, bei der ich gerade jobbte, hat mich und Georg, ein kleiner Farbiger mit großer Klappe, zu einer Baustelle im Industriegebiet geschickt. Wir bekamen einen Helm, eine Schaufel und ein paar Handschuhe und durften den ganzen Tag hinter Planierraupen herdackeln, um Dreck und Sand von den Randsteinen weg zu schaufeln.
Das ganze sollte ein großer Parkplatz werden und es schien so, als wollten die Jungs von der Baufirma heute den Weltrekord im Parkplatzbau aufstellen. Wir malochten von Morgens um Sieben bis abends um Fünf mit gerade mal 15 Minuten Pause dazwischen, was meinen Kollegen Georg zu nicht gerade feinen Äußerungen in Richtung Polier brachte. Der kleine konnte sich richtig aufregen, jedoch mit mäßigem Erfolg.
Irgendwie brachten wir den Tag hinter uns, ließen uns im Büro die Schecks ausstellen, um diese sofort im nächsten Drugstore in Bargeld zu verwandeln.
Ich komme also wie gesagt nach diesem Scheißtag zurück in mein Hotel. Das Golden West ist eine heruntergekommene Bruchbude mit winzig kleinen Verschlägen aus Rigipswänden, gerade mal so groß, das eine versiffte Matratze hineinpasst. Die Wände gehen nicht mal bis zur Decke und man ist von seinen Zimmernachbarn nur durch diese Rigipsplatten getrennt, auf denen sich die jeweiligen Vorbewohner mit Filzstift, Kugelschreiber, Sperma und Menstruationsblut verewigt hatten.
Dafür kostete das Zimmer nur 8 Dollar die Nacht und die Bude lag im Stadtzentrum. Meine Mitbewohner waren zum größten Teil Junkies, Huren und Dealer mit mäßigem Erfolg. Zwei Blocks weiter stand das Grand Hyatt, an dem Abends die dicken Stretchlimousines vorrauschten um die etwas besser betuchten Gäste der Stadt irgendwohin zu kutschieren. Währenddessen saß unsereins im "Foyer" des Golden West, einem kleinen Vorraum mit vergittertem Empfang, einem Getränkekühlschrank, Plastikstühlen, Ventilator und einem Farbfernseher mit Videogerät, in dem allabendlich irgendein Hollywoodstreifen lief, vorzugsweise auf die Klientel des Hotel abgestimmt. An diesem Abend kam ich also zurück und der Manager, von dem ich nicht mal ahnte, das Er der Manager sein könnte, trat mir in den Weg und fragte mich ob ich die vernagelte Dusche im ersten Stock aufgebrochen habe. Ich schaute mir den Typen mit seinen fettigen, langen Haaren, dem Schmerbauch und dem unrasierten Kinn an und dachte mir "was Solls". Klar, gab ich ihm zu verstehen, es war die einzige saubere Dusche, voran die Nägel, mit der die Tür fest verschlossen war, nicht ganz unschuldig waren. Also nahm ich meine Taschenzange zur Hilfe und konnte mir endlich mal wieder in einer sauberen Dusche den Dreck runterwaschen. Der Manager war ziemlich Sauer, da der Abfluss der Dusche irgendwo ein Leck hatte und ich beim Duschen irgendwas unter Wasser gesetzt hatte. Deswegen war die also vernagelt. Ich machte ihm klar, das ich sofort aus der Bruchbude ausziehe, wenn ich das Geld zurückbekomme, das ich für eine Woche im voraus bezahlt hatte. Er erklärte sich einverstanden, wollte mich dann doch noch um einen Tag betrügen, was ihm aber nicht gelang, weil mein Visum zu der Zeit noch in Ordnung war und ich ihm locker mit der Polizei drohen konnte. Ich duschte noch mal, nicht in der vernagelten, und packte dann meinen Rucksack.
Da stand ich also wieder auf der Straße, es war 7 Uhr abends, die Sonne war gerade dabei, sich hinter den Horizont aus dem staubigen Arizona zu verabschieden und es waren immer noch so etwa 30 Grad im Schatten. Ich wusste von einem anderen Hotel, ein paar Strassen weiter südlich, das ähnlich preiswert war, trabte dort hin, nur um dann zu hören, das dass letzte Zimmer gerade vergeben war und ich sah dem Typ an, das er bereits wusste, wer ich war. Dieser Scheißkerl aus dem Golden West hatte nach meinem Weggang wahrscheinlich einen Rundruf gestartet.
OK, dachte ich mir, schläfst du mal wieder im Freien. Es war Anfang Mai in Arizona. Ich hatte also kaum mit Regen zu rechnen. Mein Job für den nächsten Tag stand schon fest und ich wußte auch wo. Eine Baustelle im Norden von Phoenix. Sie brauchten dort ein paar Putzteufel, die den Dreck der Handwerker beseitigen mussten. Ich setzte mich in den nächsten Bus und fuhr die drei Meilen bis in die Nähe der Baustelle. Es war immer noch sehr hell und immer noch sehr warm. Ich lief eine Strasse entlang, ohne genaues Ziel. An einer Kreuzung, an der sich eine Tankstelle und eine Kirche befanden, saß ein Typ auf einer Mauer. Er hatte Militärhosen an und ein dreckiges T-Shirt. Da ich nichts besseres zu tun hatte, setzte ich mich zu Ihm. Er hieß All und ich fragte ihn ob er Lust auf ein paar Bier habe, was er nicht abschlug. Ich lies meinen Rucksack in seiner Obhut und trabte über die Straße in die Tankstelle, um einen Sechserpack Coors zu erstehen.
Es gibt fast nichts geileres als bei 50 Grad im Schatten in einer Stockdunklen Kneipe an de Theke zu sitzen und sich eiskalte Biere den Hals runter laufen zu lassen. Ab und zu geht die Tür der Kneipe auf und man sieht das gleißend helle Rechteck der Türöffnung bevor sie sich wieder schließt. Dann brauchen deine Augen wieder ein paar Sekunden, um sich an das Dunkel in der Kneipe zu gewöhnen. An so einem Tag in so einer Kneipe hab ich mal eine Fette Navajo aufgerissen, aber das ist eine andere Geschichte. Ich wollte nur sagen, es ist fast genauso geil, an einem warmen Maiabend auf einer Mauer zu sitzen und eiskalte Biere zu trinken, vollbusigen Chicanoweibern nachzuschauen und dummes Zeug zu labern. Ich gab All ein Bier aus dem Sechserpack und wir stießen auf bessere Zeiten an. All war ein Vietnamveteran, der wie so viele die Beine nicht mehr auf den Boden bekam. Irgendwie kamen wir dann auf die Beatles, besser gesagt, All kam drauf. War aber nicht allzu verwunderlich, denn All kam immer irgendwie auf die Beatles, wie ich feststellen musste. All konnte mir so ziemlich alles über die Beatles erzählen, was es gab und ich musste es glauben, denn die vier Jungs aus England waren mir eigentlich egal, mal abgesehen von den wirklich guten Songs die ich auch echt gerne hörte. All war in seinem Element und nichts konnte ihn bremsen. Er erzählte von den ersten Auftritten bis zu John Lennon's tot in New York und meine gelegentlichen Ablenkungsmanöver zu einem anderen Thema wurden entweder ignoriert oder sogleich wieder auf die Beatlesspur zurückgeführt. Ich lies ihn reden, machte mir ein zweites Bier auf und schaute All an, der immer eifriger die Lebensgeschichte der Pilzköpfe ausbreitete und dabei eine etwas unangenehme Angewohnheit bemerken lies. Er spuckte beim Reden. Und wie, seine Tiraden waren begleitet von einem Schwall von Speichel, der in alle Himmelsrichtungen flog. Ich rückte etwas ab und stellte mein Bier auf die andere Seite. All war inzwischen bei Linda Mc Cartney' s tragischem Tot angelangt, was mich zu der Bemerkung reizte, das dass nicht mehr viel mit den Beatles an sich zu tun hätte. Das war ein Fehler! Nun legte All erst recht Ios und aus dem Schwall und wurde ein wahrer Strom an Speichel, der ihm nun schon das Kinn herunterlief. Das einzig Gute an der Geschichte war, das All vor lauter erzählen nicht zum saufen kam, er war immer noch beim ersten Bier. Ich packte mir meinen Rucksack, die restlichen drei Bier und stand auf. Ich sah von oben auf All herab und sagte ihm, das er ein ganz schöner Spinner sei. All zuckte mit den Schultern und ich wünschte ihm eine gute Nacht, dann lief ich die Straße zurück, an der ich ein verlassenes Grundstück gesehen hatte, auf dem ich mein Nachtquartier aufschlug. Ich lag auf meinem Schlafsack, starrte zum sternenklaren Himmel empor, trank dabei die restlichen drei Bier und wusste, das ich mich bald aus Phoenix verabschieden würde. Es ist immer so ein Scheißtag, der dir zeigt, das es Zeit ist, weiter zu ziehen.

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